Sonntag, 01.07.2018: Predigt zur Pfarrereinführung in St. Peter und Paul, Witten-Herbede
Die Zukunft vor Augen
Liebe Schwestern und liebe Brüder, A2 – damit verbinden die meisten von uns eine der wichtigsten Autobahnstrecken der Republik, vielleicht gehören dazu auch persönliche Erfahrungen mit unfreiwilligen Gemeinschaftserlebnissen, begründet in kilometerlangen Staus rund um das Kamener Kreuz und darüber hinaus.
A2 – das hat für mich auch einen ganz persönlichen Klang: A2 hieß nämlich eine der Wohnetagen im früheren Priesterseminar, unweit von hier oberhalb des Kemnader Stausees auf der Bochumer Seite. Und auf dieser A2 hatte ich über lange Zeit hinweg - bis zum Schluss - mein Zimmer. Ein Zimmer mit Aussicht: auf den Sportplatz, zum Bootshafen Heveney und nicht zuletzt auf die gegenüberliegende Seite nach Heven und Herbede. Etwas pathetisch gesprochen: Von meinem Studentenschreibtisch aus auf A2 sollte ich also schon die Zukunft vor Augen haben…
Ankommen auf der linken Uferseite in Witten/Sprockhövel/Wetter
… und die wird jetzt Wirklichkeit: Gut zwanzig Jahre hat es – aus meiner Sicht – gebraucht – um die Seeseite zu wechseln. Bis dahin führten die Wege in andere Richtungen, obgleich sie immer wieder mal dieses Gebiet passierten:
In Hattingen St. Peter und Paul absolvierte ich meine pastorale Ausbildung und den Diakonat. In Bochum-Harpen Heilig Geist war ich „blutiger Anfänger“; und lernte meine ersten Schritte als Neupriester, bevor es für viele prägende und spannende Jahre nach Oberhausen ging. Jetzt – nach einem nur knappen und schönen Jahr im Essener Norden – geht es wieder in den Einzugsbereich und auf die Sichtweite des Kemnader Stausees.
Die Zeit ist nicht stehen geblieben
Dass währenddessen die Zeit nicht stehen geblieben ist, dafür gibt es hier vor Ort ganz sichere Indizien: Das Priesterseminar am Kalwes ist als Bistumseinrichtung längst aufgegeben worden. Und auch der lange Untertitel im Pfarreinamen - „Witten/Sprockhövel/Wetter“ verweist auf die durchgreifenden Umwälzungen der letzten Jahre, die aus übersichtlichen Gemeinden eine großflächige Landpfarrei gemacht haben. Wenn also erwartet wird, dass ich als Pfarrer etwas „ins Rollen“ bringe, dann kann ich das getrost wörtlich nehmen: nämlich die Räder des fahrbaren Untersatzes, um von einem Ort zum anderen zu kommen. Wenn es allein darum ginge…
… doch es markiert lediglich die äußerlich sichtbare - dynamische – Seite eines Geschehens, dass in den vergangenen zehn Jahren die Pfarreimitglieder – und besonders die in den Gemeinden aktiven - viel mit sich selbst beschäftigen ließ; das heißt, mit seelsorglichen Fragen und immer wieder mit organisatorischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Themenschwerpunkte und Arbeiten insbesondere der vergangenen zwei bis drei Jahre kamen dann auch nicht gerade als „I-Tüpfelchen“ daher oder wie das Sahnehäubchen auf einem Eiskaffee. Es war wie eine fordernde, schwerst-verdauliche und Blähungen provozierende Kost für alle Beteiligten.
Petrus in Fesseln: ein Bild für die gefühlte Lage der Kirche
Ich komme nicht umhin, diese Vorgänge in den Blick zu nehmen. Und nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist es die erste Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 12,1-11), deren Worte mich am meisten ansprechen: Es ist tiefschwarze Nacht, Petrus sitzt hinter Gittern, Arme und Beine sind in schwere Ketten gelegt. Links und rechts neben ihm Wachposten, sogar vor der Türe hüten bis an die Zähne bewaffnete Soldaten den Kerker. Ein Bild der totalen Hilflosigkeit: Petrus sieht seinem sicheren Ende entgegen. Jetzt ist alles aus. Da kommt nichts mehr außer der Scharfrichter und der Vollzug des Todesurteils. Jakobus, den Zebedäus-Sohn, hat es ja schon erwischt.
Ein Text wie für heute geschrieben
Der Text spiegelt die gefühlte Lage der Kirche zumindest die Stimmung in vielen Gemeinden unseres Bistums und ich bin sicher auch hier in unserer Pfarrei: Da sind Ernüchterung und Unsicherheit über die Zukunft der Standorte; Frust bei denen, die Zeit und Herzblut in die Arbeit vor Ort investiert haben und dennoch in den letzten Jahren von vielen Abschied nehmen mussten. Es geht ja nicht immer nur um die Gebäude. Oft sind es auch vertraute Zeiten oder Treffpunkte, deren Veränderung/Wegfall ein hohes Stresspotential in sich tragen.
Keine fremden Empfindungen und Eindrücke
Diese Gefühlslage ist mir sehr vertraut. Ich kenne sie aus der eigenen tiefen Erfahrung in der Seelsorge, zum Beispiel in Oberhausen. Ab Mai 2015 hieß es auch dort sinngemäß: `Danke für Eure geleistete Arbeit. Ihr seid gut! Und weil Ihr gut seid, dürft Ihr Euch noch einmal neu erfinden!´ Das war nicht ganz einfach! Und sogar in der vergleichsweise kurzen Zeit im Essener Norden – als Neuling gefühlsmäßig noch unbelastet und unparteiisch - habe ich mitbekommen, was für emotionale Druckwellen verbindlich getroffene Entscheidungen auslösen können, selbst wenn sie im Vorfeld gut kommuniziert und vorbereitet worden sind.
Die Frage: Was kommt? Wie geht es weiter? Und mit wem? Sie geht an das seelisch eingemachte. Sie trifft heute die ganze Glaubensexistenz des Menschen, wie schon damals Petrus und die noch junge christliche Gemeinde.
Der Engel zu Petrus: „Schnell, steh auf!“
Was dann gekommen ist, verleiht der Erzählung erst recht einen Sitz im Leben der Kirche. Gott greift ein durch Seinen Engel. Er bringt buchstäblich Licht ins Dunkel und zeigt den Weg in die Freiheit. Irgendwie geht auf einmal alles wie von selbst. Es geht weiter mit Petrus und es geht weiter mit der Kirche: „Schnell, steh auf!“ Der klaren Ansage des Engels wird heute noch Rechnung getragen, und wahrscheinlich mehr als wir vermuten. Zum Beispiel dort:
- wo junge Menschen sich entschließen, die ihnen geschenkte freie Zeit im Horizont ihrer Gemeinde zu erleben, als Messdiener, Pfadfinder, KjGler, …
- wo eine Entscheidung für den Empfang der Firmung bewusst getroffen wird, selbst wenn es der Freundeskreis nicht versteht;
- wo Berufstätige nach einem langen Arbeitstag hundemüde noch einmal zu einer Sitzung aufraffen, um an der künftigen Gestalt der Kirche mitzuwirken. Ich denke an die Mitglieder der Räte und des Kirchenvorstandes und der verschiedensten Gruppen vor Ort.
Ein heller Schein aus Hoffnungsfunken
Aus dem Alltag einer „normalen“ Gemeinde heraus mögen diese Situationen wenig spektakulär wirken. Doch in der Summe sind sie wie viele kleine Hoffnungsfunken, die zusammen einen hellen Schein bilden, der Licht bringt in die trostlose, bleierne Dunkelheit so manch christlicher Seele, so wie in den nächtlichen Kerker des Petrus.
Vielleicht braucht es Distanz und Abstand – räumlich und zeitlich - um sich dessen gewahr zu werden. Selbst Petrus hat nicht sogleich den Vorgang seiner Rettung erfasst und hielt es für einen Traum, viel zu schön um wahr zu sein. Erst draußen – als der Engel längst wieder fort ist – kommt Petrus zu sich und erkennt die glückliche Fügung.
Mir macht die gehörte Lesung Mut, bei aller Sorge optimistisch nach vorne zu blicken. Und deshalb freue ich mich auf die Menschen in St. Peter und Paul und St. Antonius, in St. Augustinus und Monika und St. Liborius, in St. Januarius und in St. Josef. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit den Mitbrüdern, Kolleginnen und Kollegen im Pastoralteam und auf ein gutes, faires und konstruktives Miteinander in den Gremien und Gruppen. Ja, ich hoffe und wünsche mir, dass wir uns wie Petrus von Gott die Türen öffnen und die Wege zeigen lassen. Ja: in diesem Sinne habe ich einmal mehr und sehr gerne hier in dieser Region die Zukunft vor Augen – nicht auf A2, mehr so zwischen A1 und A43 in unserer Pfarrei St. Peter und Paul –auf den Höhen und an den Ufern der Ruhr.
Danksagung
Danke!
Liebe Mitglieder und Freunde unserer Pfarrei,
die Feier der Pfarrereinführung liegt hinter uns. Sie bleibt mir als ein schöner Tag und unvergessliches Erlebnis in Erinnerung. Dazu trugen nicht allein die hochsommerlichen Umstände am 01. Juli bei, sondern ganz viele Menschen, die das Fest durch ihr persönliches Zutun begleiteten.
Danke sage ich allen, die in der Messe durch Gesang, Gebet und liturgische Dienste den Gottesdienst mitgetragen haben.
Danke sage ich den Helferinnen und Helfern auf dem Empfang für die gute Organisation und für die Versorgung mit Essen und Trinken.
Danke sage ich allen, die im Umfeld der Feier in Wort und Bild die Kommunikationsdienste übernahmen.
Danke sage ich nicht zuletzt für die vielen guten Wünsche, für die ermunternden Worte und Aufmerksamkeiten. Sie schenken Kraft, jetzt im beginnenden Alltag die ersten Schritte in das Leben unserer Pfarrei St. Peter und Paul zu gehen.
Herzlich grüßt Sie und Euch
Ihr und Euer Pfarrer